Rede des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Karl Lauterbach, zum Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz)

Rede des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Karl Lauterbach, zum Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz)

Beitragvon Maik Thomaß » 26.09.2022, 14:42

Rede des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Karl Lauterbach, zum Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz)


Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie mich bitte beginnen, indem ich den Angehörigen von Rainer Keller mein ganz herzliches Beileid ausdrücke. Er war auch für unser Haus immer ein wichtiger Ansprechpartner, ein wichtiger Ratgeber. Wir werden ihn vermissen.

Die gesetzliche Regelung zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die wir heute besprechen, ist der Tatsache geschuldet, dass es in der letzten Legislaturperiode den Aufbau eines großen Defizits in der Krankenversicherung gegeben hat. In dieser Größenordnung kann man sagen: historisch. Es ist entstanden durch den demografischen Wandel in unserer Gesellschaft und durch bessere Technologie, aber auch dadurch, dass hier Strukturreformen ausgeblieben sind.

Das ist keine Kritik, sondern das ist der Tatsache geschuldet, dass andere Schwerpunkte im Vordergrund standen: die Pandemiebekämpfung. Somit ist es ein geerbtes Defizit. Aber das werden wir gemeinsam beseitigen. Wir müssen es beseitigen in dem Geist, dass wir keine Schuldzuweisungen machen, sondern gemeinsam darangehen.

Dabei haben wir uns im Haus von drei Grundprinzipien leiten lassen.

Das wichtigste Grundprinzip will ich in den Vordergrund stellen – daran werden wir in der gesamten Legislaturperiode nicht rütteln –: Wir wollen keine Leistungskürzungen. In einer Zeit, wo die Menschen bedroht sind durch Krieg, Inflation, steigende Energiepreise, möglicherweise Rezession, sind Kürzungen bei der Gesundheitsversorgung nicht vermittelbar. Mir wird das immer wieder vorgeschlagen. Ich lehne dies ab. Wir müssen in einer solchen Zeit zusammenhalten. Es kann nicht sein, dass die Menschen in einer solchen Phase Kürzungen im Bereich Gesundheit, Einschränkungen im Leistungskatalog erleben. Das werden wir nicht mitmachen. Diesem Grundprinzip tragen wir durch diese Reform Rechnung. Ich bitte dafür auch um die Unterstützung im ganzen Haus. Diese Sicherheit müssen wir den Menschen bieten: Auch in der Gefahr und im Wandel – auf die Gesundheitsversorgung kann man sich verlassen.

Zum Zweiten: Es ist richtig, dass wir zuerst an Effizienzreserven herangehen, bevor wir Beitragssätze erhöhen. In diesem System sind viele Effizienzreserven. Einige der wichtigen Effizienzreserven gehen wir hier an. Ich werde nachher ein paar Beispiele nennen. Was durch Effizienzreserven nicht gewinnbar ist, das muss dann fair verteilt werden. Die Lasten, die dann übrig bleiben, müssen über Steuermittel, aber auch über moderate Beitragssatzerhöhungen, auch unter Beteiligung der Arbeitgeber, getragen werden. Das sage ich ausdrücklich; denn die Zusatzbeiträge werden ja paritätisch gezahlt. Es kann nicht sein, dass Arbeitnehmer und Steuerzahler alle Beiträge zahlen und sich die Arbeitgeber nicht beteiligen. Eine faire Verteilung auf alle Schultern ist richtig, und die stärksten Schultern müssen das meiste tragen.

Wieso sind hier noch Effizienzreserven vorhanden? Wie kann das überhaupt sein? Ich bringe ein Beispiel: Die Krankenkassen haben durch die Wettbewerbsverzerrungen, die es früher gegeben hat, ganz unterschiedlich hohe Rücklagen. Es gibt Krankenkassen, die haben hohe Rücklagen, und es gibt Krankenkassen, die haben sehr niedrige Rücklagen. Das verzerrt natürlich den Wettbewerb. Somit müssen diese Rücklagen zuerst einmal der Versorgung zugeführt werden.

Wenn wir das nicht tun, dann passiert das, was jetzt auch, als das angekündigt wurde, zu sehen war: Die Krankenkassen, die viele Rücklagen haben, stocken zum Beispiel ihre eigenen Vorstandsaltersrückstellungen massiv auf. Das sind tatsächlich auch Krankenkassen – ich möchte hier wirklich nicht in eine polemische Vergleichsdebatte einsteigen –, wo die Vorstände deutlich mehr verdienen als der Bundeskanzler. Auch darüber muss nachgedacht werden.

Also, die Altersrückstellungen sind zu hoch. Hier werden Vergütungen gezahlt, die unvergleichbar sind mit dem, was der normal GKV-Versicherte verdient. Diese Rückstellungen zurückzuführen, halte ich für richtig, insbesondere in einer Zeit, wo wir sonst an die Beitragssätze heranmüssten oder die Versicherten belasten müssten.

Ich will kurz ein paar Beispiele dafür bringen, wo wir Effizienzreserven gehoben haben, wodurch aber die Versorgung nicht schlechter wird. Ein Beispiel ist: Wir bereinigen im Krankenhaus das Pflegebudget. Die Pflegekosten werden jetzt – das ist gut – über die Kostendeckung direkt erstattet. Es gibt aber parallel zum Pflegebudget noch eine Restkonstante in der Fallpauschale. Somit wird dort die Pflege doppelt abgerechnet. Das haben wir beseitigt. Das ist einfach fair und richtig. Dadurch wird die Versorgung nicht schlechter.

Ein weiteres Beispiel. Wir haben im Bereich der Arzneimitteltherapie dafür gesorgt, dass sehr hohe Preise, mit denen neue Medikamente in den Markt kommen, nicht mehr lange gelten. Das kann in dieser Form sowieso nur noch in Deutschland passieren. Wir sind der innovationsfreundlichste Pharmamarkt in ganz Europa. Die Pharmafirmen wollen vieles verändern, aber sie wollen kein anderes Vergütungssystem in Europa, nur unseres. Wir haben den Zeitraum, in dem diese hohen Preise unverändert gelten, auf sechs Monate gekürzt. Das ist einfach fair. Es kann nicht sein, dass ein Preis, der belegterweise zu hoch ist, länger als sechs Monate in der überhöhten Form gilt. Das ist einfach unfair. Das ist eine Effizienzreserve, die dem Lobbydruck der vergangenen Jahre geschuldet ist. Das haben wir beseitigt. In einer solchen Zeit müssen wir – bei allem Verständnis für die Lobbygruppen, die bei uns jeden Tag vorsprechen – gemeinsam für die Versicherten, für die Verbraucher, für die Steuerzahler, für die Beitragszahler einstehen. Das haben wir mit dieser Reform gewagt, und werden das auch weiter tun. Bei unberechtigten Angriffen werden wir dem Lobbydruck standhalten. Das sind wir den Versicherten, den Menschen in Deutschland schuldig. Sonst steigt der Beitragssatz unnötigerweise. Das ist nicht hinzunehmen.

Es war nicht alles durch das Heben von Effizienzreserven – ich könnte weitere Beispiele bringen – zu kompensieren, am Schluss ist doch noch etwas übrig geblieben, was wir fair verteilen müssen. Da belasten wir den Steuerzahler. Der Zuschuss steigt um zwei Milliarden Euro. Wir arbeiten kurzfristig mit einem Darlehen von einer Milliarde Euro, um die Schuldenbremse nicht zu überschreiten. Und wir erhöhen den Beitragssatz um 0,3 Prozentpunkte. Auch das ist nicht unfair. Im Gegensatz zur Verwendung von Steuermitteln zahlen hier die Arbeitgeber die Hälfte mit, also die Arbeitgeber werden mit ins Boot genommen. – Ja, auch die gesetzlich Krankenversicherten. Aber es sind nur 0,15 Beitragssatzpunkte mehr. Mehr ist das nicht. Der allergrößte Teil dieser Reform, nämlich 90 Prozent, wird, um es auf den Punkt zu bringen, nicht durch die Erhöhung des Beitragssatzes auf der Arbeitnehmerseite bezahlt. 90 Prozent! Zehn Prozent haben wir Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugemutet. Das halte ich für vertretbar. Es sind zehn Prozent für sie, 90 Prozent werden über andere Quellen generiert.

Ich komme zum Schluss. Man kann hier Folgendes feststellen: Nach der Reform ist vor der Reform. Wir brauchen langfristig gesehen eine wesentliche Strukturreform der Krankenversicherung, der Art und Weise, wie wir das bezahlen. Ich habe jetzt erst einmal Effizienzreserven mobilisiert, was in keinem Fall zu einer Verschlechterung der Versorgung führt, aber langfristig müssen wir natürlich eine Reform vornehmen, und daran arbeiten wir. Wir müssen die Beiträge für Arbeitslosengeld-II-Empfänger fairer gestalten und erhöhen.

Wir müssen den Bundeszuschuss dynamisieren. Es kann nicht sein, dass, obwohl die Menschen immer älter werden, der Bundeszuschuss nicht dynamisiert wird. Wir arbeiten noch an dieser Reform. Ich bitte um Verständnis, dass wir erst einmal die Effizienzreserven heben, dann gehen wir an diese Reform. Diese Brücke werden wir überschreiten, das werden wir erreichen.

Ich werde kurzfristig – das möchte ich noch sagen – hinsichtlich der erheblich gestiegenen Energiekosten durch die Inflation, was in den Krankenhäusern und in der Pflege durch die Eigenanteile zu Mehrbelastungen führt, an dieser Stelle Vorschläge vorbringen. Aber wir müssen das getrennt sehen: Effizienzreserven heben – die Reform von heute –, eine Finanzreform – die Reform von morgen – und die Beseitigung der Belastungen beim Eigenanteil in der Pflege und in den Krankenhäusern – die Reform, die ebenfalls in Kürze vorgestellt werden wird. So werden wir das gemeinsam schaffen.

Bitte unterstützen Sie diese Reformen. Verschonen Sie uns mit Polemik. Lassen Sie uns gemeinsam über Lösungen nachdenken.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Redaktion Maik Thomaß
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