Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier beim Empfang der Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung

Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier beim Empfang der Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung

Beitragvon Maik Thomaß » 29.06.2022, 15:21

Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier beim Empfang der Stipendiaten der Alexander von Humboldt-Stiftung


Zwei Jahre lang mussten wir hier im Schloss Bellevue ohne den Besuch der Humboldt-Familie auskommen, weil die Pandemie ein so großes Treffen nicht zugelassen hat. Mir ist es in dieser Zeit zwar nicht so ergangen wie Alexander von Humboldt, der sich im Schloss Tegel ja oft ganz fürchterlich gelangweilt hat, damals auch ohne Corona. Aber ich darf Ihnen versichern: Wir haben die Begegnung mit Ihnen und das Beisammensein hier in diesem wunderschönen Park, wir haben das sehr vermisst.

Umso schöner, dass Sie heute Vormittag wieder bei uns sein können: mehr als 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 75 Ländern der Welt, dieses Jahr zum Beispiel auch aus Moldau, Mauritius, der Mongolei und der Demokratischen Republik Kongo. Sie alle leben und forschen für einige Zeit in Deutschland, an vielen verschiedenen Orten in der ganzen Republik. Und Sie bereichern unser Land – mit Ihrem Wissen, Ihrem Können, Ihren Geschichten und auch mit Ihrer Persönlichkeit. Ihnen allen ein ganz, ganz herzliches Willkommen hier in Berlin!

Einen Tribut müssen wir der Pandemie heute leider doch noch zollen: Ihre Partnerinnen, Partner und Kinder, die Sie nach Deutschland begleitet haben, konnten Sie heute nicht hier in den Schlosspark mitbringen. Bringen Sie Ihnen bitte nachher einen Gruß von mir mit, denn auch Ihre Familien sind natürlich herzlich willkommen in unserem Land!

So groß die Freude über unser Zusammensein ist: Der brutale Angriffskrieg, den Russland nun schon seit vier Monaten gegen die Ukraine führt, dieser Krieg überschattet auch diesen Empfang. Die Bilder und Berichte von ermordeten und gefolterten Menschen, von zerstörten Städten und Dörfern, von Flucht und Vertreibung, all das erschüttert und belastet uns, es macht uns traurig, wütend und fassungslos.

Dieser mörderische Krieg, für den Russland verantwortlich ist, dieser Krieg bringt unermessliches Leid über die Menschen in der Ukraine. Er bringt Energiekrisen und Hungersnöte über viele Teile der Welt – und er wirft uns zurück auf dem Weg in eine gute Zukunft für unseren Planeten.

Denn nachdem die Pandemie den weltweiten Austausch ins Stocken gebracht hat, ist es nun der Krieg, der dazu führt, dass die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg beeinträchtigt wird, nicht zuletzt auch auf dem Feld der Wissenschaft. Kooperationen mit russischen Forscherinnen und Forschern wurden ausgesetzt, gemeinsame wissenschaftliche Projekte auf Eis gelegt, auch solche, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten sollten.

Dieser Krieg kostet uns wertvolle Zeit – in der Wissenschaft, in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Er verschärft die großen Probleme der Menschheit, die wir nur im Frieden und durch weltweite Zusammenarbeit lösen können.

Aber: Putins Krieg lähmt uns nicht. Ganz im Gegenteil, er hat viele nur entschlossener gemacht, auch in der weltumspannenden Scientific Community. Ich bin den deutschen Wissenschaftsorganisationen dankbar, dass sie Projekte mit ukrainischen Forschenden auch unter den schwierigen Bedingungen des Krieges weiterführen. Und ich bin der Humboldt-Stiftung und vielen anderen dankbar, dass sie Studierende und Wissenschaftler unterstützen, die aus der Ukraine geflüchtet sind.

Wir wissen, viele russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind über den Angriffskrieg genauso entsetzt wie wir. Viele leiden in ihrem Land unter Zensur und Unterdrückung, viele suchen Zuflucht im Exil. Es ist gut und wichtig, dass die Humboldt-Stiftung russische und belarussische Wissenschaftler weiterhin fördert, dass sie denjenigen hilft, die bedroht werden und die in Freiheit lehren und forschen wollen. Auch dafür meinen herzlichen Dank!

Ich freue mich sehr, dass heute auch einige ukrainische und russische Wissenschaftler unter uns sind. Liebe Gäste aus der Ukraine und aus Russland, Sie alle stehen gemeinsam für die Prinzipien des friedlichen Zusammenlebens, der Meinungs- und Informationsfreiheit, der Suche nach Fakten und nach Wahrheit. Dass Sie hier beisammen sind, das ist in dieser düsteren Zeit des Krieges vielleicht auch ein kleiner Schimmer der Hoffnung. Schön, dass Sie da sind, Ihnen besonders ein herzliches Willkommen!

Alexander von Humboldt, der Forschungsreisende und Kosmopolit, brach nach seinen Reisen nach Südamerika und Mittelamerika im April 1829 hier in Berlin zu seiner letzten großen Expedition auf: Von Schloss Tegel ging es mit der Kutsche durchs Baltikum, durch Russland bis zum Ural, dann weiter durch Sibirien bis in den Altai an die Grenze zu China.

Die Beobachtungen, die Humboldt damals machte, führten ihn zu der These, dass der Mensch das Klima verändert – etwa durch das Abholzen von Wäldern oder durch Dämpfe und Abgase der Industrie. Was ihm damals schon vorschwebte, war nichts anderes als eine systematische, weltweite Klimaforschung.

Humboldts Ideal einer freien, global vernetzten Wissenschaft, dieses Ideal müssen wir heute wieder verteidigen. Lassen Sie uns die Stimme erheben gegen die Verächter der Vernunft und der Freiheit, die nicht nur in Russland ihr Unwesen treiben, sondern leider in vielen Teilen der Welt, auch in Demokratien diesseits und jenseits des Atlantiks! Und lassen Sie uns heute gemeinsam ein Zeichen setzen – gegen Gewalt und Menschenfeindlichkeit, gegen Unfreiheit und nationalistische Abschottung, gegen imperialen Größenwahn. Lassen Sie uns dieses Zeichen heute miteinander setzen!

Ich wünsche Ihnen, liebe Gäste, dass Ihre wissenschaftliche Arbeit hier in Deutschland wächst und gedeiht, in einem guten Forschungsklima, wenn Sie so wollen. Ich hoffe, dass Sie auch Gelegenheit haben, unser schönes Land, seine vielfältige Natur und Kultur zu entdecken, dass Sie vor allem vielen aufgeschlossenen Menschen begegnen, die Sie inspirieren und bereichern.

Und wenn es Ihnen gefällt hier bei uns, dann sagen Sie es ruhig weiter, wenn Sie zurück in Ihren Heimatländern sind. Bleiben Sie Deutschland verbunden, pflegen Sie neu gefundene Freundschaften, werden Sie zu Botschafterinnen und Botschaftern der freien Wissenschaft!

Wir freuen uns jetzt auf Gespräche mit Ihnen. Denn eins ist immer sicher beim großen Humboldt-Familientreffen: Langweilig wird es ganz bestimmt nicht.
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